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Holger "Killian" Köhler
Breaking ist das Gegenteil von Ballett
Holger “Killian” Köhler vom BASS Leipzig ist eines unserer Rahn Gesichter in unserem Magazin r-leben (Ausgabe 01/2024)!
Hier gibt es das gesamte Interview über ihn, seine Leidenschaft für Breaking und die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris, bei dem Breaking/Breakdance eine olympische Disziplin sein wird! Viel Spaß beim Lesen.
Wie heißt du, wie alt bist du, wo kommst du her?
Mein Name ist Holger Köhler, in der Tänzerszene bin ich bekannt unter dem Namen „Killian“, bin 33 Jahre alt und komme ursprünglich aus dem kleinen Örtchen Wermsdorf bei Oschatz und bin Wahl-Leipziger.
Was hat dich persönlich inspiriert Breakdance zu lernen und wie hat sich dein Stil in all den Jahren verändert/entwickelt?
Ganz kurz vorweg – Breakdance ist nicht so ganz der korrekte Begriff. Also der ursprüngliche Name heißt "Breaking" da sich die Tänzerinnen und Tänzer zu dem "Break" einer Musik bewegen. Der "Break" ist simple gesagt der Part in der Musik wo das das Schlagzeug in den Vordergrund gerückt wird. Dazu können natürlich auch noch andere Instrumente wie z.B. eine Bassgitarre usw. kommen. Letztendlichen ist der Part rein instrumental. Der Begriff "Breakdance" kommt von der damaligen Managerin der "Rock Steady Crew" (USA) die in den 80er Jahren das Breaking groß populär machten und damit um die Welt tourten. Die Managerin benutzte den Begriff "Breakdance" dann in einem Interview.
Und zu den Anfängen…Die Anfänge waren relativ standardmäßig, ich hatte damals einen Mitschüler in Wermsdorf. Dessen großer Bruder und Cousin haben halt Breaking gemacht. Das war für mich komplett neu und im Dorf hat man nicht viele Möglichkeiten, außer man spielt Fußball oder man geht zur freiwilligen Feuerwehr. Das war alles nicht so meins. Breaking hat mich fasziniert, da bin ich mit zum Training gegangen, da war ich 10 oder 11. Im ersten Jahr habe ich das immer mal hobbymäßig gemacht, 1-2 mal die Woche, bis sich dann herauskristallisiert hat, das ich mehr machen wollte. Da habe ich mit Fußball und co. aufgehört, damit ich jeden Tag trainieren konnte. Bzgl. der Stilistik waren wir damals sehr akrobatisch. Von uns hat niemanden interessiert, ob man wirklich zur Musik tanzt, was für Musik kommt, wie man sich bewegt. Uns war wichtig, wie lang kann ich mich drehen, was gibt es für Moves, Saltos etc. Das, man nennt es PowerMoves, habe ich die ersten 5-6 Jahre nur trainiert. Davon profitiere ich natürlich heute, weil ich schon mit 14/15 relativ schwere Sachen konnte. Später, wo ich in die Szene reingekommen bin, habe ich gemerkt, die machen ja ganz andere Sachen, die finden das mega krass, was ich mache, aber ich bin komplett ein Sonderling. Die ganz einfachen Schritte, die wir im Tanzunterricht lernen, die konnte ich früher noch nicht.
Wie kam es, dass du bei der Rahn Education Breaking und Co angefangen hast zu unterrichten?
Ich hatte erstmal ganz normal meinen Schulabschluss gemacht, 2 Berufsausbildungen, hab auch erstmal gearbeitet und Anfang 20 gedacht -Ich trainiere jetzt 5 bis 6 mal die Woche, wenn ich irgendwann mal probieren will, hauptberuflich das zu machen und Geld damit zu verdienen, dann wäre jetzt der gute Zeitpunkt. Habe mich dann selbstständig gemacht und angefangen, meine ersten Kurse zu geben, aber noch als Freiberufler. Das habe ich mehrere Jahre gemacht, bis ich durch einen ehemaligen Kollegen an der Freien Oberschule Leipzig, er hat Biologie und Deutsch unterrichtet, zu Rahn gekommen bin. Er hat den Tanz an die Oberschule gebracht und brauchte Verstärkung. Wobei ich in den ersten Jahren, da war die Oberschule noch in der Kochstraße in Leipzig, dort freiberuflich unterrichtet. Ich habe mich aber mit dem ehemaligen Kollegen parallel hingesetzt und den Lehrplan überarbeitet, was funktioniert, was funktioniert nicht. Man hat ja nicht wirklich einen Referenzwert, wo man sich daran orientieren kann. Es gibt das so nirgendwo in Deutschland, deswegen mussten wir schauen, was funktioniert für alle Kinder, nicht nur für die richtig sportlichen, sondern auch für Kinder, die Schwierigkeiten im normalen Sportunterricht haben, dass sie trotzdem da mitkommen, Spaß haben und ihre Sportnote verbessern. Die Note, die es bei uns im Tanz gibt, zählt am Ende im Zeugnis zu Sport.
Wie ist es beim Breaking mit Wettbewerben und Aufführungen? Du warst ja mit deiner Gruppe „THE SAXONZ“ schon bei einigen Wettbewerben. Nehmen du oder deine Schülerinnen und Schüler an Wettbewerben teil?
Im schulischen Bereich ist es nicht so, dass ich sie darauf dränge, ihr müsst jetzt unbedingt an Wettbewerben teilnehmen, da ist der Anspruch ein ganz anderer. Klar gibt es den/die ein oder anderen/andere, wo man sagt, wir nehmen dich mal mit zu der Veranstaltung und kannst du dort mal mitmachen. Im Nachmittagsbereich im Studio Anfänger- bzw. Fortgeschrittenenkurse, da geht es ganz klar Richtung Leistung. Da sind auch schon 2-3 richtig gute Tänzerinnen und Tänzer rausgekommen, die mittlerweile national unter den TOP 10 sind, sondern auch international etwas machen. Ich selbst bin immer noch im Leistungsbereich und war mit meiner Gruppe viel unterwegs, z. B. in Frankreich, in Los Angeles waren wir bereits. Wir haben auch schon 3 mal „Battle of the Year Germany“ gewonnen und sind auch 3 mal für Deutschland bei der Weltmeisterschaft angetreten. 2019 sind wir beim “Battle of the Year international” sogar unter die Top 10 der weltbesten Crews gekommen. Daneben haben wir noch an verschiedenen Battles überall in Europa teilgenommen und 2017 sogar in Los Angeles (Top 32 weltweit). Das ist natürlich eine großartige Referenz, für mich persönlich zählen aber mehr die wirklichen Szene-Wettkämpfe, die vielleicht nicht so publikumswirksam sind. Shows machen wir relativ viele und große, durch den Namen „THE SAXONZ“ und die Erfolge haben wir einige Aufträge. So haben wir 2015/2016 für den Freistaat Sachsen einen Werbeclip gedreht („Life is a dance“), der ging viral und erhielt auch den Web-Video-Preis. Ende Februar waren wir auch beim SemperOpernball in Dresden dabei, was wirklich eine große Nummer war. Auch wenn wir uns da nicht großartig aufwärmen mussten, musste man natürlich professionell abliefern. Floor on Fire gibt's auch noch - das war ‘ne Tour durch Europa, ein Projekt Breaking trifft Ballett -, dann Symphonix - das war ziemlich cool, das war ein eigenes Theaterstück mit Orchester! Wir haben auch schon einmal in der Semperoper zum Tag der Deutschen Einheit getanzt, 2016, vor 2 Jahren waren wir hier in Leipzig beim Opernball. Da habe ich mich bei der Generalprobe auch verletzt. Also beim Breaking hat man auch ein Verletzungsrisiko. Da war ich schon ein halbes Jahr raus. Übrigens gibt's von THE SAXONZ auch ’ne Doku im ZDF.
Hast du noch andere Leidenschaften außer Breaking?
Ja, ich spiele noch Schlagzeug, aber das eher hobbymäßig. Ich habe das immer nur nach Gehör gespielt, Tanzen und Schlagzeug spielen bedingt sich auch ziemlich gut. Ich habe eigentlich 100% den ganzen Tag nur mit Breaken zu tun, egal ob Unterricht oder bei Battles, ich muss 5-6 mal die Woche trainieren. Ich will mich natürlich auch weiterentwickeln, das Maximum rausholen, was geht.
Hast du konkrete Ziele in deiner Weiterentwicklung?
Es ist eher allgemein, ich schaue, dass ich mein Leistungsniveau und meinen Stil ausbaue. Das Ziel beim Breaken ist ja nicht, dass man alle Moves/Tricks kann, das Ziel ist tatsächlich seine eigenen Moves oder seinen Bewegungsstil zu entwickeln und das dauert. Das hat was mit Persönlichkeit zu tun, mit Charakter, das kann man nicht trainieren, das muss sich über Jahre entwickeln. Und dann stehen auch ein paar Battles an, Ende März 2024 bin ich eingeladen zu einem 1 vs 1 in Dessau. Ich schaue, dass ich so viel Battles wie möglich mitnehme. Früher als Kind war mein Ziel einmal auf der internationalen Bühne beim Battle of the Year zu stehen, 3 mal haben wir es ja hinbekommen. Meine Mutter hat mir mal die Videokassette „Battle of the Year 2000“ geschenkt zu Weihnachten. Das waren für mich die Superstars. Wir, „THE SAXONZ“, haben uns 2013 aus mehreren Gruppen heraus gegründet und haben uns gesagt, wir wollen die deutsche Ost-Szene national und international voranbringen. Und unser erstes Ziel war, dass wir 2014 das erste nationale Battle of the Year gewinnen, um international dann auf der Bühne zu stehen, das haben wir auch geschafft.
Wie würdest du Breaking jemandem beschreiben, der noch nie davon gehört hat?
Puh, das ist schwierig. Man muss das in Verknüpfung setzen mit Tanz. Die meisten sehen immer noch „ich dreh mich auf dem Kopf, ich dreh mich auf dem Rücken“. Das ist es nicht meiner Meinung nach. Man sollte es wirklich mit Tanzen in Verbindung bringen. Ich würde es vergleichen mit anderen Tänzen. Jeder kennt Ballett, im Ballett ist alles vorgeschrieben, die Position hat so auszusehen und wenn sie nicht so aussieht, dann muss man trainieren. Das ist eine ganz schöne Knochenarbeit. Dort gibt es keine Ausweichmöglichkeiten. Beim Breaken gibt es ein bestimmtes Level, was man erreicht an Grundlagen, z. B. einen sog. Babyfreeze. Und ab dem Punkt fängt das Breaken an, da man dann anfangen kann, die Sachen so zu bauen, wie man will, wie ein Baukasten. Das Breaken ist also nie zu Ende, wie ein Fass ohne Boden. Man kann nie sagen, ich habe das Breaking-Game jetzt durchgespielt. Das ist meine tägliche Motivation, immer weiter und weiter. Da ist nie der Punkt, wo ich sage „Ach, brauch ich nicht mehr machen, kann ich doch“. Viele sagen, es ist tänzerische Freiheit. Es gibt Breakerinnen und Breaker, die so unterschiedlich tanzen, dass man von außen nicht sagen kann, das ist der gleiche Tanzstil. Es ist so breit gefächert, dass man theoretisch alles machen kann. Es gibt Leute, die sich Einflüsse aus dem Jazz holen, aus Capoeira (afro-brasilianischer Kampfsport), aus Kung-Fu. Je kreativer, umso besser.
Was gibt es denn für Herausforderungen beim Unterrichten?
Man muss halt unterscheiden zwischen den BASS-Kursen am Nachmittag, wo externe Kids hinkommen, wo die Kids sagen, ich will explizit zum Breaken gehen und will das Lernen, da ist die Grundmotivation eine andere. Da kann man fordernder rangehen, weil die Kids das ja freiwillig lernen wollen. An der Oberschule läuft der Unterricht etwas anders, die Inhalte sind auch teilweise komplett anders. Wir haben den Lehrplan so strukturiert, dass es so leicht wie möglich geht. Welche Moves sind z. B. schnell zu erlernen, sehen aber richtig gut aus. Beispiel 5. Klasse: Babyfreeze ist bspw. eine Position, wo man sich auf den Händen und dem Kopf steht. Für jemanden, der nicht in der Materie drin ist, sieht das mega gut aus, es ist aber an sich nicht schwer. Wenn das die Kids einmal draufhaben, dann freuen die sich. Es gibt auch alternative Moves für Kids, die etwas weniger sportlich sind oder denen bestimmte Moves wie Babyfreeze nicht so liegen. Meistens ist es auch so, dass Kids, die nicht so sportlich oder akrobatisch sind, tänzerisch im Stand viel besser sind und auch musikalischer sind. Jeder sucht sich ein bisschen seine Nische. Man muss also Kids mit unterschiedlichem Leistungsniveau gleichermaßen in den Themenbereichen trainieren. Es gibt ja auch Noten und Leistungskontrollen. Das ist schon ziemlich fordernd, aber ich denke, wir wissen jetzt durch die vielen Jahre, wie wir da vorgehen müssen.
Breakdance/Breaking ist ja dieses Jahr zum ersten Mal eine olympische Disziplin. Was bedeutet das für dich und was denkst du, welche Auswirkungen das auf Breaking haben wird?
Long story short: Das ist ein riesiges Feld, was die Szene teilt. Bei Olympia muss man ja die Bewertungen der Jury ja transparent für’s Publikum machen. Nichtsdestotrotz ist es eine super Gelegenheit Breaking für noch mehr Leute ansprechend zu machen. Ich denke, dass es nach Olympia eine Welle geben wird an Kids, die das auch machen wollen, was super cool ist. Die Schattenseite ist halt, dass die Kreativität sehr leidet, weil es die Regeln gibt. In der normalen Szene gibt es auch eine Jury, die am Ende sich für einen Sieger entscheidet, ist aber alles subjektiv. Ich schaue bei Battles auch immer, wer sitzt in der Jury, man hat da schon seine Erfahrungen mit den Personen gesammelt. Bei dem Jury-System bei Olympia ist zwar auch Kreativität mit verbaut, aber Kreativität kann man eigentlich nicht bewerten. Es gibt jetzt schon im Vorfeld die Ranking-Battles in jedem Land bzw. Bundesland Landes-Kader, die werden durch ein Punktesystem ermittelt, wer ist dort drin. Die Breakerinnen und Breaker, die daran teilnehmen, haben sich schon etwas angepasst, was müssen sie bspw. machen, um in dem System gut zu punkten, das sind eher akrobatische Sachen, nicht so ausgefallene Sachen. Es gibt diejenigen, die sagen, Olympia ist nicht so gut für die Breaking-Szene, und es gibt Personen, die sehen das, völlig okay, als Chance. Es ist für die Jüngeren eine Riesenchance, damit Geld zu verdienen und an Sponsoren zu kommen. Ich bin eher Ersteres. Die Regeln sind auch streng, es dürfen maximal 2 Personen pro Land zu Olympia fliegen. Wir als Gruppe „THE SAXONZ“ stellen dennoch den Landeskader für Sachsen, da bin ich auch im Trainerstab. B-Girl Jilou, ursprünglich aus Berlin, im Landeskader Sachsen, ist die Erste aus Deutschland, die nach Paris fliegen wird. Ich glaube, sie könnte im Bereich der Frauen wirklich was reißen. Bei Olympia zählt dann wirklich „Dabei sein, ist alles“, da das vorherige System, um zu Olympia zu kommen, eher schwierig ist. Für viele ist ja die Grundfrage: Ist Breaking jetzt Sport oder Kunst bzw. Tanz? Da kann man sich ja Stunden darüber unterhalten. Oder es gibt Bücher über 400 Seiten lang, die sich mit dem Thema Breaking und Jurysysteme beschäftigen.